Prinzip der Unschuld
Michael Manns „Collateral“: Tom Cruise wird auch als graumelierter, brutaler Auftragskiller sein Image als Sunny Boy nicht los.
Es ist ein Hitchcock'sches Prinzip gewesen, die eigenen Helden völlig unvermittelt und eher zufällig in unerwartete Extremsituationen zu stoßen. In „Der Mann, der zuviel wusste“ werden Touristen zufällig zu Mitwissern eines geplanten Mordes, in „Das Fenster zum Hof“ beobachtet ein in den Rollstuhl gezwungener Fotoreporter einen Mörder vom Fenster seiner Wohnung aus und wird somit zum Detektiv.
Regisseur Michael Mann („Heat“, „Insider“) versucht sich mit seinem neuen Film „Collateral“ ebenfalls an diesem Prinzip der Unschuld. Der farbige Taxifahrer Max (Jamie Foxx) wird bei seiner nächtlichen Tour durch Los Angeles zum Chauffeur für einen Mörder. Vincent (Tom Cruise) steigt in Max' Taxi und macht den gutherzigen Fahrer zur Geisel im eigenen Fahrzeug. Vincent hat bis zum Morgengrauen eine Reihe von Auftragsmorden zu erledigen, der unschuldige Max kommt als gezwungener Mittäter in die Situation des Mitwissers und Komplizen. Eine nächtliche Tour ins Böse, bei der Max nicht bloß einmal versucht, vor seinem Schicksal davon zu laufen. Doch der Killer ist mächtiger, Max' Entkommensversuche scheinen chancenlos. Selbstredend, dass dieses psychologische Spiel in einem groß angelegten Hollywood-Showdown endet.
„Collateral“ hat alle Zutaten, die einen spannenden Thriller ausmachen sollten. Und doch: Spannung will während dieses Films partout keine aufkommen. Das mag einerseits am recht wortkargen Auftreten des Antagonisten liegen – Vincent tötet lieber, als zuviel zu reden. Oder an Tom Cruise, der in all seinen Filmen wie ein Sunny Boy wirkt, dem man das Zahnpastalächeln sogar ansieht, wenn er nicht lacht. Um die ungewöhnliche Rolle des Bösewichts an Cruise glaubhafter erscheinen zu lassen, hat ihm Regisseur Michael Mann die Haare grau meliert, doch Cruise wirkt als Killer nie glaubhaft, sondern geradezu lächerlich. Vielleicht sollte er – wie dereinst John Travolta – eine kultig-witzige Rolle in einem Quentin Tarantino-Film spielen, dann könnte das Klischee vom Saubermann endlich ein paar Schrammen bekommen.
Bemerkenswert an „Collateral“ bleibt daher nur Jamie Foxx als Unglückstaxler. Sein Wandel vom unterdrückten, schüchternen Ja-Sager zum selbstbewussten, selbstbestimmten Menschen vollzieht sich innerhalb einer Nacht, und obwohl Michael Mann auch hier tief in die Klischee-Kiste greift, um Max' Motivation des Ausbruchs zu rechtfertigen, so ist es Jamie Foxx' Spiel, das diese mäßige Regie-Leistung vor einem Desaster bewahrt. Einmal mehr ist ein Filmemacher am großen Vorbild Hitchcock kläglich gescheitert.
Quelle: Archiv/ M*magazine